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Alfilm Festival 2025

Die subversive Poesie der Wiederaneignung

Kamal Aljafari (Bildmitte) vor dem Beginn des Screenings. Foto: OHA

Auch in diesem Jahr spielen Filme aus Palästina eine wichtige Rolle in dem vielfältigen Programm des 16. arabischen Filmfestivals, das in nur wenigen Wochen vom Jewish Film Festival gefolgt wird. Wir haben zwei von ihnen gesehen.

A Fidai Film des in Berlin lebenden palästinensischen Filmemachers Kamal Aljafari ist einer davon. Die Filmvorführung im Weddinger Sinema Transtopia beginnt mit einer Beschwerde des Filmemachers, darüber, dass er bei keinem anderen der vielen deutschen Filmfestivals ausgewählt und gezeigt worden ist. Was der mögliche Hintergrund ist, zeigt sich im Laufe des Films und seiner künstlerischen Methode, von der der palästinensische Filmemacher Kamal Aljafari in der direkt folgenden Masterclass, ein moderiertes Künstlergespräch, dann später selbst berichtet.

A Fidai Film von 2024 ist eine poetische Montage von Bildern aus israelischen Archiven, zu denen sich Aljafari insbesondere während der Corona-Pandemie Zugang verschafft hat. Alles kreist um die Bombardierung Beiruts im Jahr 1982 durch die israelische Armee und die anschließende Konfiszierung von Material aus dem Palestine Research Center. Wir sehen das Drama eines Wohn- und Geschäftshausbrandes infolge des Bombenangriffs, die um Hilfe schreienden Eingeschlossenen und die verzweifelten Versuche der Rettung durch herbeigetragene Leitern. Wir sehen wie israelische Soldaten Kisten und Stapel voller Papiere auf offene Lastwagenpritschen werfen und abtransportieren. Wir sehen den Abriss von Häusern durch Planierraupen, Palästinenser bei Demonstrationen, beim Kampf um ausgegebenes Essen. Wir sehen britische Soldaten in Kolonialuniform, osmanische Soldaten, Jüdische Einwanderer nach Palästina, die unter einem Wachturm ausgelassen tanzen, während ein Araber am Boden hockend, dem Treiben mit ausdruckslosem Gesicht zuschaut. Wir sehen die britische Kolonialarmee, vor der Staatsgründung Israels, die bereits die Kollektivbestrafung der palästinensischen Bevölkerung bei Ungehorsam praktiziert. Aljafari weist im Gespräch nach dem Film darauf hin, dass viele der Gefängnisse aus britischer Kolonialzeit bis heute in Betrieb seien.

Aljafaris Methode ist es, den genauen historischen Kontext im Film selbst nicht zu nennen. Wir wissen nicht genau, was wir da sehen, es ist mehr ein Ahnen, an welchem Ort und in welchem Jahr und zu welchem Anlass die Bilder entstanden sind. Aljafari möchte damit wegkommen, von einer konkreten wissenschaftlichen und kühl historischen Betrachtung, hin zu einer eher abstrakten, emotionalen, poetischen und künstlerischen Wirkung. Hinzu kommt, dass viele der Filmsequenzen bearbeitet wurden, was teils offensichtlich ist, aber teilweise eben auch nicht, wie wir erst hinterher im Künstlergespräch erfahren. Aljafari hat historische Archivfilme, bisher unveröffentlichte und fast vergessene eigene Aufnahmen aus Palästina, aber auch Spielfilme aus der Produktion der israelischen Armee aus den 50er und 60er Jahren verwendet, und die Schauspieler aus diesen Filmen entfernt, da sie ihm beim Betrachten seiner palästinensischen Heimat Jaffa, woher Aljafari stammt und wo viele der Filme gedreht wurden, „im Wege standen“.

Er sieht in der heimlichen Beschaffung und bearbeiteten Verwendung des Filmmaterials teils aus dem beschlagnahmten palästinensischem Archiv, eine (Wieder-) Aneignung im Gegensatz zur Intention der Produzenten, also einen legitimen subversiven und künstlerischen Akt. Ein durchaus sympathisches Vorgehen, zumal in den Bildern der israelischen Militärspielfilme, vermutlich unerwünscht von den Urhebern, die palästinensische Realität Einzug gehalten hat, in Form von Personen, die die Filmaufnahmen durch ihre Anwesenheit gestört oder man könnte heute sagen, ergänzt haben. Aljafari spürt all die unerwünschten Passanten und Beobachter der Dreharbeiten der oft ohne Absperrungen on location gedrehten Spielfilme auf, und zeigt sie in seinem Film nun mit großem Zoomfaktor, aber eben dadurch auch geheimnisvoll und poetisch unscharf.

Dass er aber auch die hebräischen Markierungen und Archivangaben des Filmmaterials mit blutroter Farbe übermalt und später auch die Gesichter israelischer Schauspieler u.a. einer Frau mit einem Kind auf dem Arm, hinterlässt einen zwiespältitigen Eindruck. Der Film sei vor dem 7. Oktober entstanden, rechtfertigt Aljafari auf Nachfrage in der anschließenden Masterclass seine Farbauswahl und die Methode des Auslöschens unerwünschter Personen aus dem Filmmaterial durch Übermalen. Dennoch kann man nun nicht anders als das blutige Massaker an den vielen jüdischen aber auch palästinensischen Israelis und asiatischen Gastarbeitern rund um Gaza nun mitzudenken, wenn man diese blutroten Übermalungen sieht. Die Farbauswahl, die ja nicht nur Assoziationen zum menschlichen Blut herstellt, sondern auch zur Hamas mit ihren roten Dreiecken, und die Methode der künstlerischen Auslöschung muss hier daher hinterfragt werden.

Beruht denn der brutale Krieg zwischen Palästinensern und Israelis in Gaza und dem seit Jahrzehnten nicht endenwollende Konflikt nicht genau auf den gegenseitigen Auslöschungsfantasien (vor allem der an der Macht befindlichen radikalen Kräfte auf beiden Seiten) und der Unfähigkeit zu akzeptieren, dass Palästinenser und Juden die wenigen Hundert Quadratkilometer besser friedlich, respektvoll und absolut gleichberechtigt miteinander teilen müssen? Insofern ist A Fidai Film ein hochrelevanter Film, der gerade auch mit seinen Schwächen und seiner Diskussionswürdigkeit absolut zeigens- und sehenswert ist, insbesondere in einer starken Demokratie wie in Deutschland.

Auch Gazan Tales von Mahmud Nabil Ahmed von 2024 verzichtet auf einen Kommentar. Gefilmt wurden verschiedene Personengruppen in paralleler Montage bei Ihrem Leben in Gaza, wie wir am Ende des Filmes erfahren, ganz zu Beginn der Bombardierungen in Folge des 7. Oktober 2023..Doch diese Ereignisse spielen hier keine Rolle. Die Darsteller und Filmemacher dieser Dokumentation, die aus einem Filmworkshop in Gaza entstanden ist, thematisieren den beginnenden Krieg nicht, sondern werden bei Ihrem ganz normalen Leben in Gaza gezeigt. Da ist der strenge Pferdezüchter und Reitlehrer mit seinen Tieren, seinen Freunden, Geschäftspartnern und seinem Sohn. Da ist der nachdenkliche und schimpfende Bootskapitän, der zu einem Leben an Land verdammt ist. Da sind die Musiklehrer in ihren Unterrichtsräumen mit den Instrumenten an der Wand, beim Unterrichten und bei Proben in der Gruppe und einer ständig parallel laufenden Partie Schach auf dem Computermonitor. Das Werbeschild der Musikschule sind Notenschlüssel einfach auf die Wand gesprüht. Da ist der Schreiner in seiner großen Werkstatthalle mit vielen Mitarbeitern. Es sind Bilder aus einer nun zerstörten Welt, und man fragt sich, was aus den Protagonisten und ihren Familien wohl geworden ist.

https://alfilm.berlin


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